Ein neues Märchen um Ritter Brexger von der Löwenburg und seinen besten Freund, Drache Siefnir. Es spielt im Frühjahr 1212 am Rande des Frankfurter Hoftags Kaiser Ottos IV. Doch die Festtagstimmung trügt.
Ottos Thron war in Gefahr: Als er dabei war, Süditalien und Sizilien für das Reich zurück zu erobern, hatte Papst Innozenz III. ihn gebannt. Einem gebannten Kaiser aber schuldeten seine Untertanen keine Treue mehr, ganz im Gegenteil. Schon hatten einige Fürsten Friedrich II. im fernen Palermo zum König gewählt. Otto hatte seinen Italien-Feldzug abgebrochen und war eilig zurückgekehrt, um seine Herrschaft zu retten. Als er zum Hoftag lud, schien ihm das gelungen zu sein, doch es war ein brüchiger Friede (siehe Stauferzeit Teil 4, Europa im Umbruch).
Einladung zum Hoftag
Auch Graf Heinrich III. von Sayn, der Herr der Löwenburg, war zum Hoftag nach Frankfurt aufgebrochen. Als Fürst aus dem Rheinland und langjähriger Streiter für Ottos Sache musste er einfach dabei sein. Im Gefolge des Grafen waren Ritter Brexger von der Löwenburg, seine Frau Marguerite und ihr kleiner Sohn Remy. Otto selbst hatte um ihre Anwesenheit gebeten, denn Marguerite kannte er aus ihrer gemeinsamen Kinderzeit am Hof seines Onkels Richard Löwenherz und seiner Großmutter Eleonore von Aquitanien, und Brexger hatte er selbst zum Ritter geschlagen.
Auf der Löwenburg freuten sich alle über diese Ehrung, die Brexger und Marguerite zuteil wurde. Und doch hatten ihre Freunde ihre Abfahrt mit gemischten Gefühlen gesehen. Marguerite erwartete ihr zweites Kind, und die Verhältnisse im Reich und in der Region waren unsicher.
Unheil braut sich zusammen
Bärlauch, der Jungkoch auf der Löwenburg, und der kleine Erddrache Siefnir, Brexgers bester Freund, hatten ihnen vor dem Burgtor noch lange nachgeblickt. „Wir müssen aufpassen, Siefnir“, sagte Bärlauch nun, „ich habe ein sehr ungutes Gefühl. Siefnirs Schuppen sträubten sich und wechselten die Farbe – ein Zeichen, dass ihn etwas beschäftigte. Der kleine Erddrache hatte ein untrügliches Gespür für Gut und Böse.
„Ich auch“, brummte er, „mir ist, als wenn sich Unheil über uns zusammenbraut.“ Bärlauch dachte angestrengt nach. „Graf Heinrich hat bestimmt nicht ohne Grund Verstärkung von Burg Blankenberg hergeschickt“, sagte er, „Hoftag hin oder her, viele Fürsten warten nur auf eine Gelegenheit, Otto zu verlassen. Auch hier in unserer Region. Und da sind noch viele Rechnungen aus dem Thronkrieg offen. Unser Kölner Erzbischof Dietrich von Hengebach ist Otto trotz des Banns treu geblieben, und nun hat der Papst auch ihn gebannt. Auch daran hat er sich nicht gestört und am letzten Gründonnerstag die Sakramente geweiht, und nun hat der Papst ihn abgesetzt.“ Bärlauch machte eine Pause, dann sagte er wütend: „Und weißt Du, wen er dafür eingesetzt hat? Adolf von Altena!“
Diesen Namen hatte Bärlauch fast ausgespien, und Siefnirs Schuppen sträuben sich noch mehr. Adolf von Altena war der langjährige, erbitterte Feind der Sayner Grafenfamilie. Im Thronkrieg hatte er die Seiten gewechselt und war abgesetzt worden. Seinen Nachfolger Bruno von Sayn hatte er erbittert bekämpft und über Monate in Gefangenschaft gehalten. Bruno war früh verstorben. [1] „Adolf von Altena ist bestimmt nicht auf Versöhnung aus“, sagte Bärlauch düster, „im Gegenteil, ich fürchte, er wird die Fürsten in der Region gegen uns aufstacheln. Komm‘, lass uns zum Hauptmann gehen, vielleicht weiß er etwas.“
Finstere Pläne
Hauptmann Bodo von der Burg Blankenburg war ein alter Kämpe, der im Dienst des Grafen einiges mitgemacht hatte; er war erfahren und hellwach. Bärlauch erzählte ihm seine Sorgen. „Ich traue dem Frieden auch nicht“, stimmte der Hauptmann zu, „Adolf von Altena ist gegen Otto und gegen uns, und sein Verwandter Graf Adolf von Berg unterstützt seine Politik. Wir haben keine freundlichen Nachbarn. Sie warten nur auf eine Gelegenheit. Da ist noch etwas .. Hohnfried wurde gesichtet.“
Hohnfried … Brexger und Marguerite hatten Schlimmes mit ihm erlebt [1]. Danach hatte er seine Burg und seine Ländereien verloren und war fortgegangen. „Meint Ihr, dass er die Abwesenheit des Grafen ausnützen und seine Gebiete verwüsten will?“ fragte Bärlauch. Der Hauptmann schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben genug kampferprobte Männer hier. Es muss etwas anderes sein“, sagte er, „ich fürchte, dass etwas viel Perfideres im Gange ist.“
Siefnirs Schuppen schienen in allen Farben zu irrlichtern. „Brexger!“ schrie er, „er will Brexgers Familie schaden! Hohnfried weiß ganz genau, wie nahe sich Kaiser Otto und Marguerite stehen, er wird ihnen etwas antun wollen.“ Der Hauptmann wurde bleich. „Das erklärt alles. Doch das zieht er nicht alleine durch. Ich denke, dass Ottos Gegner um den Erzbischof ihn angeheuert haben. Hohnfried bekommt seine Rache an Brexger und den Grafen von Sayn, und zugleich würde es Ottos Autorität komplett untergraben, wenn er auf seinem Hoftag nicht einmal die Sicherheit seiner Leute garantieren könnte.“
Nach Frankfurt
„Wir müssen eilig nach Frankfurt und sie warnen“, fuhr er fort, „aber verdammt, wie kommen wir unbemerkt zu ihnen durch?“ „Wein!“, rief Bärlauch, „wir bringen im Namen des Grafen von Sayn mehr Wein für den Hoftag, den guten roten Drachenfelser, den hat der Kaiser in Bonn getrunken, den mag er.“ Dann schaute er den kleinen Drachen an. Siefnir wollte unbedingt mit, auch wenn er sich damit in große Gefahr brachte. Für viele Menschen waren Drachen Feinde, die es zu erschlagen galt. Aber er kannte Siefnir zu gut, der kleine Drache würde Brexger nie im Stich lassen. „Dann nehmen wir noch ein kleines Fass mit“, sagte er, „nur für den Kaiser, darin verstecken wir Dich, Siefnir.“ „Kommt“, drängte Hauptmann Bodo, „wir müssen los, ich habe keine einzige ruhige Minute mehr!“
März 1212, Frankfurt
Marguerite und Otto
Am Vorabend des großen Hoftags trafen Brexger und Marguerite den Kaiser. Otto war froh, ein vertrautes Gesicht aus gemeinsamen Kindertagen im Poitou wiederzusehen. Für beide war es nicht einfach. Die Stätten ihrer Kindheit und Jugend gehörten nun dem französischen König, und der war Otto feindlich gesinnt. Ob sie je dorthin zurück konnten?
Marguerite zeigte ihm ihr Söhnchen Remy, und Otto lächelte etwas wehmütig. Er war jetzt 14 Jahre auf dem Thron und hatte keine Kinder, nicht einmal eine Ehefrau. Nach dem Tod Philipps von Schwaben hatte er sich mit dessen ältester Tochter Beatrix verlobt, in dem ehrlichen Bemühen um Versöhnung, doch sie war noch sehr jung. „Werdet Ihr Beatrix von Staufen bald heiraten?“ fragte Marguerite. Otto nickte. „Ja, das werde ich“, sagte er, „das muss ich, um die staufischen Fürsten an mich zu binden. Aber sie ist noch so jung, fast noch ein Kind, wir müssen warten. Ihr wisst wie das ist mit den politischen Ehen.“ Marguerite nickte. Des Kaisers Ehen waren politische Arrangements, doch Mädchen hatten es noch viel schwerer. Damals, nach dem Tod Eleonores von Aquitanien, hatte Otto sie an seinen Hof geholt, um ihr ein trostloses Dasein in einer Ehe ohne Liebe zu ersparen. „Wir alle wünschen Euch aus tiefstem Herzen, dass Ihr endlich Frieden und auch etwas Glück und Liebe finden möget“, sagte Brexger warm.
Wein für den Kaiser
Der Tag des großen Hoftags war angebrochen, ganz Frankfurt schien auf den Beinen. Endlich waren Hauptmann Bodo, Bärlauch und Siefnir an gekommen. Eilig hasteten sie durch das Tor des Hauses, wo Otto seinen Hoftag hielt. „Halt!“ donnerte die Wache, „wer seid Ihr, und wohin wollt Ihr?“ „Wir stehen im Dienst des Grafen von Sayn“, sagte der Hauptmann ruhig, „ein alter Soldat und ein Küchenjunge. Der Graf ist einer der treuesten Gefolgsleute des Kaisers und schon hier.“Dann deutete er auf die Fässer auf dem Wagen. „Wir haben den Auftrag, diese Fässer bestens Rheinweins für den Hoftag zu liefern. Und in diesem Fass hier ist eine spezielle Abfüllung für den Kaiser, die der Graf ihm persönlich geben möchte.“ Die Wache kam näher, drohend. „Ihr werdet Euch doch wohl nicht am Wein für den Kaiser vergreifen wollen.“ Nein, das wollte der Wachmann dann doch nicht. „Nun geht schon“, knurrte er.
Schnell machten sich der Hauptmann Bodo und Bärlauch auf den Weg. Erleichtert stellten sie fest, dass die meisten Leute schon auf dem Weg in den Festsaal waren, so konnten sie Siefnir kann schnell aus dem Weinfass herauslassen. Der war seinem Freund Brexgerso fest verbunden, dass er dessen Anwesenheit spüren konnte. Sie hasteten durch die Gänge und fanden den Raum, wo Brexger, Marguerite und der kleine Remy mit seiner Amme untergebracht waren. Vorsichtig traten sie ein. „Frau Amme, wir sind es“, sagte Bärlauch leise, doch er bekam keine Antwort.
Dann ging er ins Nebenzimmer, wo die Wiege stand. Ihm blieb das Herz stehen. Die Wiege war leer, die Kinderfrau hatte man niedergeschlagen.
Im Festsaal
Im Festsaal waren viele Fürsten versammelt. Viele Sänger waren zugegen, auch der große Walther von der Vogelweide, der einen besonderen Vortrag vorbereitet hatte. Nun, da der Kaiser zurück war und offensichtlich seine Macht hatte sichern können, wollte man in seinen Augen gut da stehen. Otto, ganz Majestät, schaute sich um. Viele Gesichter kannte er, andere nicht. Ganz hinten erspähte er Marguerite und Brexger, und ein kaum wahrnehmbares Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Herr Kaiser sit ihr willekommen“, hob Walther an zu singen. Brexger versteifte sich. „Vielen hier ist Kaiser Otto längst nicht mehr willkommen“, dachte er, „und wir sind es auch nicht. „Verstohlen sah er sich um. Die meisten Fürsten waren ausgesprochen berechnend, ließen sich ihre Unterstützung für Otto etwas kosten. Viele von ihnen hatten im Thronstreit ihr Mäntelchen nach dem Wind gehängt und hegten Groll gegen den Grafen von Sayn. Instinktiv legte er seinen Arm um seine Frau Marguerite. Wenn wenigstens Siefnir da wäre .. der kleine Drache mit seinem untrüglichen Gespür für Gut und Böse hätte schnell herausgefunden, woher ihnen Gefahr drohte.
Hinter seiner majestätischen Fassade war auch Otto besorgt. Er hatte zu viele Kämpfe hinter sich und ein feines Gespür für Gefahr. Dann sah er Brexgers Geste. Sein Instinkt und alte Verbundenheit mit Marguerite aus Kindertagen sagten ihm, dass etwas nicht stimmte, dass Marguerite und ihre Familie in Gefahr waren. Hastig rief er einen Bediensteten herbei und deutete mit einer kaum merkbaren Bewegung zu Brexger und Marguerite. Der Bedienstete kam auf die beiden zu. „Seid Ihr wohlauf?“, fragte er, „der Kaiser ist besorgt.“ „Ich bin es auch“, sagte Marguerite, „ich würde gerne nach meinem kleinen Sohn schauen“.
Wo ist Remy?
Bärlauch und Hauptmann Bodo kümmerten sich um die Kinderfrau. Endlich kam sie wieder zu sich. Da ging in die Tür auf, Marguerite hastete in das Gemach, und ihr blieb fast das Herz stehen, sie taumelte und Bärlauch konnte sie gerade noch stützen. „Sie haben Remy“, sagte die Kinderfrau mühsam, „es waren Hohnfrieds Leute.“ Nun stürmte auch Brexger in den Raum. „Hauptmann .. Bärlauch .. Siefnir!“ Der kleine Drache war aus dem Halbdunkel hervorgetreten und berührte Marguerite sanft am Arm. „Ich spüre Remys Herzschlag“, sagte er, „er lebt. Wir folgen dem Herzschlag und dann finden wir ihn und bringen ihn zurück.“ Marguerite blickte auf, Tränen in ihren Augen, schöpfte sie wieder Hoffnung. „Danke Siefnir. Ich weiß, wenn es einer schafft, dann Du.“
Auch Brexger atmete auf. Siefnir hatte es noch nie fertig gebracht, in besonderen Momenten seines Lebens nicht da zu sein, auch wenn er sich dadurch in Gefahr brachte. Sein Ritterschlag durch König Otto, seine Hochzeit mit Marguerite .. und nun würde er Remy wiederfinden. „Nichts wie hinterher“, drängte Brexger, „Hauptmann Bodo, kommt. Bärlauch, Du bleibst bei meiner Frau.“
Dem Schurken hinterher
Siefnir voran hasteten sie durch die Gänge. Seine Schuppen waren so dunkel, dass man ihn im Halbdunkel nicht erkennen würde. Remys Herzschlag hörte er leise, dann lauter, und er folgte dem Klang durch die Gänge. An einer Kreuzung trafen sie auf Ottos Garde. „Wir haben ihn gesehen, er trägt eine Kapuze, und er hat ein Kleinkind auf dem Arm. Er läuft in Richtung Osttor“, sagte er Gardist hastig, „aber da kommt er nicht ‚raus, der Kaiser hat die Tore schließen und die Wachen verdoppeln lassen.“
Auch Otto hatte keine Ruhe gehabt. Am liebsten wäre er von seinem Sessel aufgesprungen und hätte selbst nach dem Rechten gesehen. Dann war Walters Vortrag vorbei. Während alle die Köpfe zusammensteckten und diskutierten, wie die Sprüche zu interpretieren wären, stahl er sich schnell weg.
Siefnir, Brexger und der Hauptmann hetzten weiter durch die Gänge .. immer lauter hörte Siefnir den Herzschlag des Jungen. Dann sahen sie vor sich eine Gestalt mit einer Kapuze, die ein Kind trug. Remy! Nun merkte der Mann, dass er verfolgt wurde. Er drehte sich um und nahm die Kapuze ab. Es war Hohnfried, sein Gesicht war höhnisch verzogen. „Brexger, Ihr verhasster ..“ schrie er, „Ihr werdet Euren Sohn nie wiedersehen, eher …“ Weiter kam er nicht. Eine große Gestalt eilte heran, streckte den Mann mit einem gewaltigen Faustschlag nieder und nahm ihm das Kind ab. Es war Otto selbst.“Schnell, Brexger, nehmt Euren Sohn“, drängte er, „ich muss zurück“.
Singt uns von Liebe ..
Etwas außer Atem nahm Otto wieder Platz auf seinem erhobenen Sessel. Die meisten Fürsten waren weiter damit beschäftigt, Walthers Worte zu interpretieren, und hatten sich über Ottos kurze Abwesenheit keine Gedanken gemacht. Nun erhob sich der Kaiser. „Genug der Politik für heute“, begann er, „singt uns etwas fröhliches, Herr Walther. Es wird Frühling, singt uns von Liebe. Ihr habt doch da einiges in Eurem Repertoire.“
Später am Abend fand Otto Gelegenheit, Brexger, Marguerite und die ihren aufzusuchen. „Ich will bald wieder Weihnachten in Bonn feiern“, sagte er, „dann sehen wir uns wieder. Und bitte sagt dem Herrn Drachen, dass er mir sehr willkommen ist. Denn ohne den Herrn Drachen kein Remy, ohne Remy keine Marguerite, ohne Marguerite kein Brexger, und ohne meinen getreuen Ritter Brexger kein Kaiser Otto.“
[1] Die Familie hatte einen hohen Preis bezahlt, schon zuvor hatte Graf Heinrich seinen Vater Heinrich II. und seinen Onkel Eberhard in den Kriegsjahren verloren.
[2] Siehe Marguerite von der Löwenburg
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