Diese Geschichte um Bianca von der Rosenau spielt im August 1235, als Kaiser Friedrich II. einen Hoftag in Mainz hielt. Einen Monat zuvor hatte er in Worms Isabella von England geheiratet. Graf Heinrich III. von Sayn, Herr der Löwenburg, war zugegen.
Der Graf war ein hochgeachteter Fürst, doch zwei Jahre zuvor wäre er fast als Ketzer verbrannt worden.
Auf der Löwenburg
Endlich war auf der Löwenburg wieder alles gut. Der schlimme Ketzerprozess gegen den Grafen Heinrich III. von Sayn hatte ihnen allen schwer zugesetzt, doch im letzten Jahr hatte ein Reichstag den Grafen in vollem Umfang freigesprochen, der verhasste Inquisitor Konrad von Marburg war tot, und viele Menschen atmeten auf. Auf Ritter Brexger und seine Frau Marguerite freuten sich auf den Frühling. Ihre Ehe war sehr glücklich. Die beiden hatten zwei Kinder, die Tochter Clémence und den Sohn Remy. Auf der Löwenburg lief alles gut. Der Graf und die Gräfin von Sayn waren selten da, denn der Graf zählte inzwischen zu den wichtigsten Reichsfürsten und hatte eine Menge Verpflichtungen. Auch jetzt war er wieder unterwegs zum Hoftag Kaiser Friedrichs II. in Mainz.
Der gierige Herr von Rosenau
Auf einmal scholl ein Ruf durch die stille Burg. „Papa! Papa! Komm schnell, Du musst helfen!“ Atemlos und mit zerzausten Haaren stand seine Tochter Clémence vor ihm. „Er hat alles mitgenommen .. das Pferd, sogar Bianca!“ „Langsam, Schatz“, sagte Brexger, obwohl auch er längst unruhig war, „was ist passiert?“ „Der Burgherr von der Rosenau, dieser Lump, er will unbedingt zum Turnier vor der Hochzeit, und er ist mit Sack und Pack los.“ Als wenn er es sich nicht hatte denken können.
Brexger hatte seinen Nachbarn von der Rosenau nie besonders gemocht. Der neue Herr von der Rosenau war geldgierig und intrigant. Wenigstens war Frieden in der Region, Graf Heinrich III. war ein guter Freund des amtierenden Kölner Erzbischofs Heinrich von Müllenarck, und so konnte er ihnen nichts anhaben. Doch der Burgherr von der Rosenau war ein grober Klotz, der auch seinen Kindern kein guter Vater war. So waren sie oft mit seinen Kindern zusammen, und sie alle mochten Bianca, die kleine Eselin auf der Rosenau.
Aufbruch
„Papa“, drängte ihn Clémence, „der will sich beim Turnier aufspielen und überschätzt sich völlig. Er säuft, frisst und ist überhaupt nicht trainiert, er wird verlieren, und dann gehört alles dem Sieger.“ So war das bei Turnieren – verlor einer der Ritter, standen sein Pferd, seine Waffen und seine Equipage dem Sieger zu. Schon bald waren Brexger unter seine Kinder unterwegs nach Mainz. Seine Frau Marguerite wäre am liebsten auch mitgekommen, doch es war nötig, mit den Getreuen des Grafen die Stellung zu halten. Zu viel hatten sie erlebt während der letzten Jahre, als der Inquisitor Konrad von Marburg sogar zum Kreuzzug gegen den Grafen von Sayn aufgerufen hatte: Fanatisierte Menschen, solche, die andere aus Angst denunzierten, und Kriminelle, die von der Not der Verfolgten profitieren wollten.
Bei den Feierlichkeiten in Mainz
Irgendwo in seinen Räumen in Mainz hörte der Kaiser erregte Stimmen. Ein Ritter aus dem Gefolge des Grafen von Sayn verlangte von seinen Hofleuten, zum Turnierplatz gebracht zu werden, um einen der Kombattanten zur Rede zu stellen und die Pferde, die Equipage und einen Esel zurückzuholen. Und deswegen so ein Aufstand? Wegen eines Esels bemühte man einen seiner Hofmarschälle? Was dachten sich diese durchgeknallten saynischen Gefolgsleute eigentlich? Am liebsten wäre er wutentbrannt dazwischengefahren.
Bianca ..
Dann drang ein Name an sein Ohr: Bianca. Bianca .. der Name traf ihn mitten ins Herz. Plötzlich war er nicht mehr in seinen Räumen in Mainz, sondern daheim in Süditalien, bei einer anderen, seiner Bianca. Mia cara .. Bianca Lancia aus dem Piemont war seine große Liebe, ihr gehört sein Herz, von ihr sprach er von Liebe in dem gerade entstehenden Italienisch. Und doch hatte er gerade eine andere geheiratet.
Seine Ehen waren politische Arrangements, wenn man sich verstand, umso besser. Seine erste Ehefrau Konstanze von Aragón hatte er durchaus gemocht, auch wenn er ihr nicht treu war, seine zweite Isabelle von Brienne hatte ihm die Krone des Königreichs Jerusalem gebracht, und auch seine dritte Ehe mit Isabella von England war eine politische Allianz. Das gehörte zum Kaisertum, Bianca Lancia durfte nicht auf mehr hoffen, das musste sie doch einsehen. Und doch würde es ihm sehr weh tun, wenn sie es nicht tat.
Verdammt, und jetzt hieß ausgerechnet eine Eselin auch noch Bianca von der Rosenau und erinnerte ihn an einen Gefühlskonflikt, den er nie zugegeben hätte. Doch .. der Kaiser schätzte wirkliche Aufrichtigkeit und Treue. Und so gab er seinem Hofmarschall einen Wink. „Wenn Ihr könnt, helft ihnen.“
Rosalia
Und der Hofmarschall wusste Rat. „Wartet hier“. Nach einer Weile trat eine alte Dame aus dem Gefolge des Kaisers zu ihnen, an ihrer Seite eine junge Frau. „Wir hätten einen Plan, aber auch Ihr müsst uns helfen“, begann er. „Der Kaiser kann nicht einfach einen seiner Untertanen aus dem Turnier nehmen, das würde schlecht aussehen, wir müssen also zu einer List greifen. Und wenn dieser Rüpel von der Rosenau wirklich so ein Lump ist, wie Ihr sagt, und ich glaube Euch, dann schadet es ihm nicht. Aber auch Ihr müsst uns etwas versprechen.“ Brexger horchte auf.
Nun winkte der Hofmarschall die junge Frau zu sich heran, die bislang an der Wand gekauert hatte. „Das ist Rosalia“, begann er, „sie ist eines der Schankmädchen in den Tavernen, und jetzt will sie da raus, zumal sie schwanger ist. Sie ist ein gutes Mädchen. Würdet ihr sie mitnehmen und ihr auf Euer Burg Schutz und ein neues Zuhause geben?“ Brexger schaute die junge Frau an. In ihrem Gesicht las er nichts Falsches. Clémence lächelte. „Nun, dann sei uns willkommen, Rosalia“, sagte er, „eine frühere Herrin der Rosenau hieß Rosamund. Und auf der Löwenburg können wir Hilfe brauchen.“
Als das geklärt war, eröffnete der Hofmarschall ihnen seinen Plan.
Die Rettung
Am Rande des Zeltlagers der Turnierreiter Brexger in seinem Versteck und schickte so manches Stoßgebet zum Himmel. Endlich kam Clémence. Brexger hätte sie fast nicht erkannt, denn sie steckte in grober Knabenkleidung, einen speckigen Hut auf dem Kopf, und ihr Gesicht war dreckverschmiert. Doch die Tarnung war notwendig gewesen.
Nach dem Zusammentreffen mit dem Hofmarschall war Clémence mit Rosalia in die Schänke gegangen, um ihr den Herrn von der Rosenau zu zeigen, ohne selbst erkannt zu werden. Rosalia sollte sich an ihn heranmachen, damit er sie mit ins Zelt nähme, und ihm dann ein Betäubungsmittel in den Wein mischen. Der Hofmarschall und die alte Dame aus dem Gefolge des Kaisers hatten an alles gedacht.
Währenddessen hatten Brexger und Remy im Lager nach dem Rosenauer, seinem Pferd und Bianca gesucht. „Schon gut, Papa“, meinte Clémence, „Rosalia hat alles im Griff. Es wird schon gut gehen.“ „Dann komm‘, lass‘ uns die Tiere holen.“ Unerkannt kamen sie zu den Stallungen. „Schscht ..“ Bianca und das Pferd des Rosenauers wollten freudig wiehern, als sie Clémence erkannten, oder vielleicht nur witterten. Vorsichtig führte das Mädchen die beiden Tiere aus den Stallungen. Brexger, der draußen gewartet hatte, atmete erleichtert auf. „Geht schon mal vor“, sagte er leise, „ich hole Rosalia und dann nichts wie weg.“
Im Zelt des Rosenauers wartete Rosalia schon. Lächelnd zeigte sie auf den schlafenden und schnarchenden Mann. „Der schläft tief und fest.“ Ohne einen Blick zurück verschwanden die beiden im Dunkel der Nacht.
Als sie den Rand des Lagers erreicht hatten, stieg Rosalia auf das Pferd des Rosenauers, und dann ritten sie zusammen in die Nacht hinaus. Erst als sie Saynisches Gebiet erreicht hatten, stiegen sie im Haus eines Freundes ab. „Du wirst sehen“, sagte Clémence bei Einschlafen zu Rosalia, „der Frühling bei uns ist schön.“
Fußnote
Dies Märchen über Bianca von der Rosenau ist frei erfunden. Historisch belegt ist die tiefe Liebe des Kaisers zu Bianca Lancia.
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